_Modell Studie Tessin: Investition, Kompromiss und Akzeptanz von Programm und Werbung
Ganze Studie
Modellstudie Tessin: Investition, Kompromiss und Akzeptanz von Programm und Werbung
Summary
Das
Projekt „Modellstudie Tessin: Investition, Kompromiss und Akzeptanz von
Programm und Werbung“ untersucht im Fernsehmarkt Tessin den Zusammenhang
zwischen der Investitionsbereitschaft von Werbetreibenden und der
Kompromissbereitschaft von Fernsehveranstaltern im Informationsbereich. Zudem
wird der Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Programmnutzung und der
Akzeptanz von Werbung nachgegangen. Den Fernsehmarkt Tessin teilen sich
lediglich zwei Schweizer Fernsehveranstalter (neben den ausländischen
Veranstaltern): der öffentlich-rechtliche Sender Televisione svizzera di lingua
italiana (TSI) mit seinen zwei Programmen sowie der private Programmveranstalter
TeleTicino.
Im Projekt wird davon ausgegangen, dass sich TSI und TeleTicino wegen ihrer unterschiedlichen Institutionalisierungsform an unterschiedlichen institutionellen Umwelten (Normensystemen) orientieren und deshalb auf Interessen der Werbewirtschaft unterschiedlich stark eingehen. Dieser Frage wurde im Februar und März 2005 in dreizehn Leitfadengesprächen (qualitative Befragungen von fünf Werbekunden, zwei Vermarktern und sechs Programmverantwortlichen bzw. Programmschaffenden) nachgegangen. In einer quantitative Publikumsbefragung (N=512) von TSI1, TSI2 und TeleTicino sollte zudem geklärt werden, ob die Erwartungen in Bezug auf Werbung und Programm gegenüber dem öffentlichen und dem privaten Sender seitens des Publikums unterschiedlich sind, bzw. ob sich die Publika bei der Programmnutzung und Bewertung ebenfalls an unterschiedlichen institutionellen Umwelten orientieren. Das Gesamtprojekt erstreckt sich über einen Zeitraum von einem Jahr. Die Hauptergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
–Der Kanton Tessin kennt
keinen publizistischen Wettbewerb im Fernsehbereich. Dazu sind die verfügbaren
finanziellen und personellen Ressourcen, aber auch das Selbstverständnis und
die Philosophie der beiden Sender, TSI und TeleTicino, zu verschieden.
–Einen Wettbewerb liefern
sich die beiden Sender jedoch bei der lokalen Werbebeschaffung. Auffällig ist,
dass sich die lokalen Werbekunden bei Ihren Werbeentscheidungen eher von
Emotionen statt von rationalen Überlegungen leiten lassen. Davon profitiert
TeleTicino. Als „kleiner David“ im Kampf gegen den scheinbar übermächtigen
Gegner geniesst die private Station einen Sympathiebonus bei der
Werbekundschaft.
–
TeleTicino versteht es sehr gut, seine organisationalen Sinn- und
Legitimationsstrukturen an diejenigen der überforderten Werbetreibenden
anzupassen. Das Media-Buying im persönlichen Beziehungsnetz funktioniert
besser auf der emotionalen als der reflexiven Ebene.
–Die relative Ereignisarmut
im Medienraum Tessin fördert eine forcierte Berichterstattung mit geringerem
Nachrichtenwert. Die Konkurrenz um Information führt im kleinen Markt zu
starker Abdeckung kleinerer regionaler Ereignisse und fördert die Ausbildung
parasitärer Werbeformen. Vor allem beim TeleTicino kommt es zu bemerkenswerten
Adaptionsleistungen an die Interessen der Werbekunden.
–Mit der Ausstattung der
formalen Organisationsstruktur unterstütz TeleTicino seine Anpassungsfähigkeit
zusätzlich. Es existiert keine organisational gefestigte strukturelle Trennung
von Werbebeschaffung, Spotproduktion und Spotverbreitung. TeleTicino folgt damit
als neu etablierter privater Sender einem Organisationsprinzip, das sich stark
an den Bedürfnissen des Werbemarktes orientiert.
–Die Praxis bei TeleTicino
zeigt, dass sich der Einfluss der Werbewirtschaft dann besser durchsetzen kann,
wenn neben der Anpassung der Sinn- und Legitimationsordnungen auch bei der
Ausgestaltung der formalen Organisationsstrukturen entsprechende Anpassungen
vorgenommen werden.
–Die empirische Erhebung,
sowohl der Informationsleistung der beiden Sender als auch der Imagewerte von
Sendern und Journalisten, zeigt signifikant höhere Werte für die TSI Sender.
Besonders die Informationsleistungen der öffentlich-rechtlichen Sender
im allgemeinen und im regionalen Kontext werden positiv hervorgehoben.
–TSI1 ist das „Tessiner Fernsehen“ schlechthin und die Identifikation mit dem Programm und den Moderatoren und Journalisten ist sehr hoch. Das Publikum erkennt die Leistung des Privatsenders im Bereich der regionalen Berichterstattung an und hat das Gefühl, dass TeleTicino den Zuschauern aus der Seele spricht.
Die Trennung von Programm und
Werbung setzt organisationale Infrastrukturen voraus. Die Durchsetzung
kann nicht auf das Einhalten von Regeln reduziert werden. Vielmehr sind
autoritative Ressourcen und formale Organisationsstrukturen zur Durchsetzung der
Regeln nötig. Dies ist mit Kosten verbunden. Die Studie macht deutlich, dass
ein Wettbewerb, der sich ausschliesslich im Werbemarkt (und eben nicht im
publizistischen Markt) abspielt, zu Praktiken führt, die der berufskulturellen
Norm der Trennung von Programm und Werbung im Informationsbereich schaden können.